22.07.2021

Telefonhörer anstatt Flasche

Wenn er psychisch mal „weniger auf der Höhe“ ist, greift er nicht zur Flasche, sondern zum Telefonhörer:

Freundeskreise sind dafür da, dass man in solchen Situationen nicht alleine ist“, bekundet Hagen Gräter. „In der Gruppe kennen alle das Problem aus eigener Erfahrung.“ Vor knapp zwei Jahren übernahm er die Leitung des Freundeskreises Killertal. Er hat es geschafft, aus diesem Teufelskreis herauszufinden und blickt zurück:

Als Kind leidet Hagen Gräter in Hechingen bereits unter der Alkoholsucht seines Vaters. Er selbst trinkt nie, legt sich als Teenager deswegen immer wieder mit dem Vater an, der dann Jahre später an den Folgen seiner Alkoholsucht stirbt. Im zweiten Lehrjahr beendet Hagen Gräter Teenager vorzeitig seine Ausbildung als KfZ – Mechaniker. Er will Geld verdienen und zieht zu einer Freundin, doch die Beziehung geht schnell in die Brüche. Als sich Hagen Gräter 1987 als Zeitsoldat bei der Bundeswehr verpflichtet ist er 20 Jahre. Im Rahmen seiner Ausbildung als Flugmeldemeister lernt er in Hamburg seine erste Frau kennen und heiratet sie. Nach einem Jahr wird die Ehe geschieden.

Seine eigene Suchtkarriere beginnt bei der Bundeswehr: „Rauchen und Bier trinken, das sind die harten Kerle“, so sein damaliges Motto. Sieben bis acht Weizen zieht er runter, dann geht von der Masse her nichts mehr in ihn rein. Nur Jacky - Cola passt noch obendrauf. Als er 1996 die Bundeswehr als Oberfeldwebel verlässt, nutzt er Abfindung und Übergangsgeld für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Er arbeitet ohne zu trinken, konsumiert auch zuhause nichts. Nur am Wochenende säuft er sich von Samstag bis Montag früh durch die Nächte. 

Es hört nie auf

Man darf sich niemals zu sicher sein. Ich trinke weder ein halbes Bier bei einer Hochzeit noch esse ich Pralinen mit Alkohol, denn: Es hört nie auf.

2008 heiratet er ein drittes Mal. Mit seinem Sohn und ihrer Tochter, beide aus vorangegangenen Ehen, entsteht eine kleine Familie in einem eigenen Haus. Doch Hagen Gräter vernachlässigt auch dieses Mal alles durch seine Sauftouren. Seine Frau lebt mittlerweile ihr eigenes Leben und spürt, dass Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann nicht weiterbringen. Dann sprechen ihn Sportfreunde auf sein Trinkverhalten an. „Ich habe dann das erste Mal darüber nachgedacht, ob die Scheidungen doch an mir lagen“, erinnert er sich. Dieses Gespräch habe ihn ermutigt, sich an das Suchtberatungszentrum in Balingen zu wenden. Über dieses kommt er in Kontakt mit einer Psychologin und den Freundeskreisen für Suchtkrankenhilfe.

Hagen Gräter hat keinen Entzug in einer Klinik gemacht, weiß aber, dass dies eher selten gelingt: „Die meisten brauchen Unterstützung“. Sport, Bewegung, ein Motorrad und ein Hund als neues Familienmitglied haben ihm ebenso gutgetan, wie die regelmäßigen Gruppentreffen in den Freundeskreisen. Er fühlt sich dadurch gestärkt und hat sich über Lehrgänge und Fortbildungen durch und mit den Freundeskreisen für Suchtkrankenhilfe stark mit dem Thema Alkohol und seiner eigenen Sucht auseinandergesetzt.